Wenn eine Magenverkleinerung nicht greift

„Lipödem ist ein Arschloch!“…Wow, das sitzt. Nicht ich habe das gesagt, sondern die Initiatorinnen eines Fotoprojekts, das diese noch viel zu wenig verstandene Erkrankung darstellt. Wie Adipositas ist es eine chronische Erkrankung, die schwer in der Griff zu bekommen ist. Beide Erkrankungen haben einige Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede. Das ist  für dich wichtig, wenn du überlegst, ob eine Adipositas-OP dir weiterhilft. 

Ich habe mit meiner Kollegin Andrea Barth, Oecotrophologin und selber Lipödem-Betroffene, mal auseinander sortiert, was Lipödem und Adipositas unterscheidet, was du mit Ernährung tun kannst und wann es gut ist, sich um beides zu kümmern. (Am Ende stellt Andrea ihr Beratungskonzept vor – also enthält dieser Blogartikel unbezahlte Werbung). Das Video dauert ungefähr 20 Minuten und ich fasse unten noch einmal die wichtigsten Infos zusammen.

Was ist der Unterschied zwischen Lipödem und Adipositas

 

Typische Merkmale bei Lipödem

Alles beginnt mit den Fettzellen. Beim Lipödem wuchern sie so, dass typischerweise an Armen und Beinen (meistens ausgehend von den Oberschenkeln) schmerzhafte, spannende Schwellungen entstehen. Das Gewebe ist druck- und schmerzempfindlich. Das ist für viele Betroffene aber so normal, dass man es oft gar nicht als etwas ungewöhnliches wahrnimmt (Andrea erzählt von einer Patientin, der es Schmerzen bereitet, wenn ihr Katze über ihre Beine läuft).Blaue Flecken schon bei kleinen Stößen, schnelle Ermüdung besonders der Beine und Wasseransammlungen in den Extremitäten im Laufe des Tages sind typisch.

Die Einteilung in die Schweregrade kannst du u.a. bei der deutschen Gesellschaft für Phlebologie nachlesen. Merk dir schonmal „Grad III“, das ist wichtig für die Therapie, über die wir später noch sprechen.

Lipödem-Gewebe reagiert nicht auf Ernährung

Ein wichtige Erkenntnis: Lipödem-Gewebe ist „ernährungs-resistent“. Das heißt: nach heutigem Kenntnisstand lässt sich ein reines Lipödem nicht über eine spezielle Ernährung beeinflussen. Wenn du also ausschließlich wegen eines Lipödems zugenommen hast, ist die Chance, mit einer Diät abzunehmen, recht gering….Für manche Betroffene ist das bestimmt eine Entlastung vom ständigen Gefühl, beim Abnehmen zu versagen.

typische Merkmale von Adipositas

Bei der Adipositas wuchern die Fettzellen nicht, sondern die „normal und überall“ vorhandenen Fettzellen füllen sich und werden je nach Versorgungzustand größer oder kleiner. Die Zunahme erfolgt am ganzen Körper (inklusive des Körperinneren). Ein besondere Empfindlichkeit gehört nicht typischerweise dazu.

Adipositas ist ausgelöst oder zumindest begünstigt durch eine erhöhte Kalorienaufnahme. (Dass es auf dem Gebiet der Ursachenforschung noch ganz viel Klärungsbedarf gibt, thematisieren wir in diesem Interview nicht).

Im Unterschied zum Lipödem lässt sich das Fettgewebe bei einer Adipositas grundsätzlich mit Ernährung beeinflussen. Auch wenn heute klar ist, dass je nach Stadium, der Häufigkeit von Radkaldiäten und weiteren Stoffwechsel- oder Hormonstörungen die einfache Formel: „weniger essen, mehr bewegen“ natürlich auch zu kurz greift. 

 

Kann man also bei Lipoödem gar nichts mit Ernährung ausrichten?

Das stimmt so natürlich auch nicht. Andrea weist zu Recht darauf hin, dass auch viele Lipödem-Betroffene zwar gut über Ernährung Bescheid wissen, aber es im Alltag –  wie für viele andere stark eingespannte und gestresste Menschen – auch für sie nicht so leicht umzusetzen ist. Außerdem vermutet Andrea, dass bei einem Lipödem der Energiebedarf niedriger sein könnte als mit den normalen Formeln ermittelt wird. Wir haben bisher beide keine Studien dazu gefunden, aber ihre Beobachtung ist, dass Betroffene oft nur dann ihr reduziertes Gewicht halten, wenn sie sich noch stärker einschränken als normalerweise empfohlen wird. Es wäre mal spannend, das zu überprüfen. Wenn Betroffene also die Empfehlung bekommen, mehr zu essen (was wir Ernährungsberaterinnen und ÄrztInnen ja so gelernt haben…), oder auch so essen, wie es als normal gilt, gehen vielleicht Lipödem und Adipositas eine unheilige Allianz ein.

Lipödem und Adipositas treten oft gemeinsam auf

Auch wenn es durchaus Frauen mit Lipödem gibt, die normalgewichtig sind, führt nicht nur das wuchernde Fettgewebe zu Übergewicht, sondern durch der geringere Energiebedarf, die Bewegungseinschränkungen und bei manchen auch der Stress rund um die Erkrankung. Also „schaukeln“ sich hier 2 verschiedene Erkrankungen gegenseitig hoch. Um die Frage aus der Überschrift, ob bei Lipödem eine Adipositas-OP überhaupt wirkt, zu beantworten, muss man also beide Ansatzpunkte kennen.

Wenn es also bei dir so sein sollte, dass du eine Magenverkleinerung hattest und beim Abnehmen der Oberkörper (der „Körperstamm“) schmaler geworden ist, aber die Polster an Oberschenkel, Po und Armen immer noch groß und schmerzhaft sind, bist du möglicherweise eine Lipödem-Besitzerin.

Lipödem – Operation wird Kassenleistung mit großen Einschränkungen

Nach heutigem Wissensstand hilft bei Lipödem nur eine (bzw. mehrere) Operationen, bei denen das Fett abgesaugt wird. Gesundheitsminister Spahn ist 2019 mit dem Vorschlag vorgeprescht, diese Operation zur Kassenleistung zu machen. Es gab viele Diskussionen und Unklarheiten darüber, wer genau Anspruch darauf hat. Das vorläufige Ergebnis: Lipödem-Betroffene im Stadium 3 mit einem BMI under 35 haben Anspruch. Da aber viele Betroffene allein wegen der großen Fettmasse diese Voraussetzung nicht erfüllen, gibt es die Ergänzung, dass Frauen mit deinem BMI über 35 für die Liposuktion nachweisen müssen, dass sie vorher eine eventuelle Adipositas behandelt haben. Das ist alles ziemlich kompliziert. Wenn du genau nachlesen möchtest, kannst du es in der Mitteilung des“Gemeinsamen Bundesausschuss“ finden.

So weist du als Betroffene nach, dass du eine „Adipositas-Behandlung“ hattest

Da wir in Deutschland immer noch das Dilemma haben, dass es nur wenige (erfolgreiche) strukturierte Beratungsprogramme haben – und schon gar keine, die die speziellen Bedingungen bei Lipödem berücksichtigen, hat Andrea ein Kursprogramm entworfen. Seit März 2020 bietet sie spezielle Kurse für Lipödem-Patientinnen mit BMI über 35 in ihrer Praxis in Esslingen an Mit diesem Programm erfüllst du die Voraussetzungen, um eine entsprechende OP beantragen zu können. Das Besondere dabei ist, dass neben 6 Gruppentreffen viele Gruppentreffen online stattfinden, so dass es sich vielleicht auch lohnt, einmal monatlich eine etwas weitere Anfahrt in Kauf zu nehmen. Klick einfach hier für alle Infos zum Lipödem-Ernährungskurs.

Wenn du darüber auf dem Laufenden bleiben willst, wie sich die Behandlung von Lipödem und Adipositas weiter entwickelt, trag dich gern in meinen Newsletter ein! Oder komm in meine private Facebook-Gruppe „Adipositas-OP – mein Weg“. Dort findest du bei fast 800 TeilnehmerInnnen bestimmt auch jemanden, die dir von ihren Lipödem-und Adipositas-OP-Erfahrungen berichten kann. 

Ich wünsche dir als Betroffener, dass du  – mit diesem Kurs oder einer individuellen Betreuung einer Lipödem-fitten Ernährungsberaterin – einen guten Weg findest, dem „Arschloch“ Lipödem etwas entgegenzusetzen und dir zu mehr Beweglichkeit, Genuss und Lebensfreude.