Wie zuverlässig sind Empfehlungen in Apps und Formeln?

Wir hätten soo gern eine klare Aussage: so viele Kalorien brauchst du nach deiner Magenverkleinerung pro Tag, um sicher, zuverlässig und dauerhaft abzunehmen. Aber warum passt der Vorschlag in deiner App so gar nicht zu dem, was du isst? Wie kommt es, dass dein Gewicht steht? Und am wichtigsten: Wie findest du heraus, was die passende Kalorienmenge für deinen Schlauchmagen oder Magenbypass ist – so dass du damit alltagstauglich etwas anfangen kannst? Ich habe für dich die wichtigsten Tipps gesammelt.

(Wenn du lieber hörst und schaust: du findest diesen Blogartikel auch als Video bei Youtube (ca. 20 Minuten)

 

Wann wird der Kalorienbedarf nach der Adipositas-OP zum Problem?

Zum ersten Mal taucht die Frage nach der passenden Kalorienmenge kurz nach der OP auf. Meistens fragt man sich das beim Bypass oder Schlauchmagen nach 6 Wochen. Typischerweise sind viele Operierte unsicher, wenn der Kostenaufbau geschafft ist und sich so etwas wie „ein neues normales Essen“ eingespielt hat. Gerade weil oft nur viiiiel weniger in den operierten Magen passt, so dass oft sogar Freunde und Familie fragen „bist du sicher, dass du davon satt wirst“, ist die Überlegung, welche Essensmenge = Kalorien zu einer gesunden Gewichtsabnahme führt.

Viele benutzen Tracking-Apps und sind dann etwas verwirrt wegen der Zahlen, die als „Grundumsatz“ empfohlen werden, und die gesteigerte Kalorienmenge, die als Ausgleich für Bewegung mehr gegessen werden soll. Das passt meistens überhaupt nicht zusammen. Ein typischer Gedanken in dieser Phase: „Oh, ich schaffe gar nicht, so viel zu essen, wie die App mir vorschreibt: Ist das jetzt schlimm?“

Anfangs musst du nicht so viel essen!

Hier schon eine kleine Beruhigung, falls du erst 2 Monate nach dem Schlauchmagen oder 6 Wochen nach Magenbypass bist: die Antwort auf die Frage ist fast immer: nein! In der Umgewöhnung ist es zwar wichtig, eine gute Mahlzeitenstruktur zu üben, aber ganz normal und in Ordnung, wenn deine gesamte Essensmenge weniger Kalorien enthält als die Apps anzeigen. Für´s Weiterlesen kanns du dir merken: die Prinzipien, die ich beschreibe, solltest du üben – die Vorschläge zu den Kalorien, die ich im letzten Abschnitt mache, merk dir für nächstes Jahr.

Bei Gewichtsstillstand oder wenn du wieder zunimmst

Die zweite typische Phase taucht später auf, wenn das Gewicht nicht mehr so runtergeht wie am Anfang. Und auch da ist oft die Verwirrung: „Hat sich mein Grundumsatz gesenkt? Sollte ich vielleicht weniger essen? Und woran kann es liegen, dass mein Gewicht jetzt langsamer runtergeht oder eventuell sogar stagniert, auch wenn ich das Gefühl habe, es müsste eigentlich noch weitergehen?“ Wer über Jahrzehnte die Erfahrung gemacht hat, dass nach einer guten Gewichtsreduktion unweigerlich wieder eine starke Zunahme folgt, macht sich dann natürlich große Sorgen.

Warum Kalorienzahlen für dich nicht aussagekräftig sind

Kalorien sind ein ziemlich ungünstiger Maßstab. „Blöderweise“ stehen sich in den Nährwerttabellen auf verpackten Lebensmitteln immer an erster Stelle. Und wir orientieren uns auch deshalb daran, weil wir es eben auch aus den klassischen Diäten kennen. Da ist immer die Standard-Aussage: „Letztendlich nimmt man dann ab, wenn man weniger Kalorien zu sich nimmt, als man verbraucht.“

Das ist viel zu einfach gesprochen, weil Kalorien eigentlich nichts anderes sind als ein Brennwert. Diese Angabe findest du auch immer auf den Verpackungen: „Energiegehalt/Brennwert“. Das sagt aber überhaupt nichts aus über die Qualität deines Essens.

1500 Kalorien= 3 Tafeln Schokolade

Nehmen wir mal ein extremes Beispiel: Angenommen, dein errechneter Bedarf liegt bei ungefähr 1500 Kalorien. Dann kannst du diese 1500 Kalorien pro Tag locker zu dir nehmen, wenn du drei Tafeln Schokolade über den Tag verteilt naschst. Dass das kein gutes Essen für dich ist, ist logisch.  Der Gehalt an Kalorien sagt eben nichts darüber aus, ob du gute Nährstoffe zu dir nimmst.

Als grobe Abschätzung haben sie natürlich ihre Berechtigung, aber sie sind eben nur der erste Schritt, wenn du eine sinnvolle Essensmenge für dich herausfinden willst. Und natürlich sind sie ein wichtiges Hilfsmittel, um abzuschätzen, wie sich z.B. Bewegung auf deinen Bedarf an Nährstoffen auswirkt.

Nährstoffe sind wichtiger als Kalorien

Aber das große Problem von „Kalorien“ ist, dass es keine Auskunft dazu gibt, von welcher Qualität der Brennstoff sein muss, den du zu dir nimmst. Die Nährstoffe in deinem Essen haben ja verschiedene Funktionen im Körper die Funktionen, die ja weit über den reinen „Brennstoff“ hinausgehen.

Sie sorgen dafür, dass deine Muskeln erhalten bleiben, sie sorgen dafür, dass Hormone, Enzyme und andere Hilfsstoffe in deinem Körper gebildet werden, die benötigt werden, damit er alle seine Funktionen gut erfüllen kann.

Fazit: Kalorien alleine reichen als Maßstab für gutes Essen mit Magenbypass oder Schlauchmagen nicht aus.

6 hilfreiche Kriterien für eine gute Gewichtsabnahme

Wahrscheinlich erinnern dich einige dieser Kriterien an das, was du schon vor der Magenverkleinerung in der Ernährungsberatung geübt hast. Spätestens jetzt weißt du, warum gute Beraterinnen mit dir üben, auch andere Teile deines Ess-Alltags gut zu gestalten.

1. Eiweiß zuerst – und genug davon

Du bist wahrscheinlich nicht überrascht, wenn ich dir vorschlage, als erstes darauf zu achten, dass du genug Eiweiß zu dir nimmst. Eine ausreichende Proteinzufuhr sorgt dafür, dass dein Körper die Muskelmasse erhält, weiterhin genug Baumaterial für Enzyme, Hormone und Abwehrstoffe hat. Diese Baustoffe kann er nicht aus den Fettreserven mobilisieren. Die Polster, die du nach und nach abbaust, werden wieder zu Kohlenhydraten und Fetten umgebaut, deshalb ist dein Körper weniger darauf angewiesen, sie von außen zugeführt bekommt.

Eiweiß ist also eine knappe innere Ressource, der einzige Speicher befindet sich in den Muskeln. Und die willst du nicht abbauen müssen – deshalb: Eiweiß als Hauptbestandteil deines Essens!

Wie viel Eiweiß brauche ich nach welcher Art der Magenverkleinerung? Es haben sich als grobe Mindestempfehlung die folgenden Eiweißmengen etabliert:

 

2: regelmäßige Mahlzeiten (und Essenspausen)

Ein weiteres häufiges Phänomen nach der Magenverkleinerung ist das „Grasen“, also ständiges Essen von kleinen Häppchen. Dazu habe ich hier mehr geschrieben.

Der Teufelskreis in Kurzform: zwischendurch kleine Snacks sind oft eher Kekse als Käse, die dazu führen, dass du erst einmal kurz satt bist und bei den „richtigen“ Mahlzeiten keinen Hunger hast. Dafür aber dann, wenn eigentlich keine Zeit ist, in Ruhe zu essen – also greifst du wieder zum Keks. Und dann das Ganze von Vorn…

Da hilft es sehr, klare Zeitrahmen festzulegen, in denen du bewusst etwas Nahrhaftes isst. Das muss nicht immer zu genau festgelegten Uhrzeiten sein, aber eine guten Struktur von 3-5 Mahlzeiten ist superhilfreich. Auch dafür hast du hoffentlich in deiner Beratung nach der Magenverkleinerung mit deiner Ernährungsberaterin den Rhythmus gefunden, der für deine Situation passt.

3: gute Mahlzeiten nach dem Tellermodell

Das Tellermodell ist super-easy anzuwenden und hilft dir, das, was ich als „nahrhaft“ beschreibe, wirklich in dein tägliches Essen einzubauen. Die Kurzform: deine Mahlzeit sollte aus einem größeren Anteil eiweißhaltiger Lebensmittel und zwei kleineren Anteilen Gemüse, Obst und stärkehaltige Lebensmitteln bestehen. In der Mitte in meines Tellermodell findet sich immer ein kleiner Klecks gesunde Fette.

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Wenn du eine entsprechende Anzahl Mahlzeiten über den Tag verteilst und zwischendurch Essenspausen machst, die du ausschließlich zum Trinken nutzt, hast du das dritte wichtige Hilfsmittel schon in der Tasche.

4: Portionsgrößen angepasst?

Die Portionsgröße ist sozusagen die Gretchenfrage für Menschen, die länger operiert sind. Wie sich dein Schlauchmagen nach 2 Jahren oder dein Bypass nach 5 Jahren verhält, hängt auch von der Größe deiner Portionen ab.

Aber wie groß müssen meine Portionen sein? Natürlich hängt das ganz stark von deiner Größe, deiner OP-Methode, deiner Bewegung und deiner „Grundkonstitution“ ab. Auf dem Tellermodell findest du anhand der Größe eine erste Orientierung. (Kleine Vorankündigung: an dieser Stelle können Kalorien wirklich ein gutes Hilfsmittel sein – mehr dazu beim letzten Abschnitt).

Hunger, Sättigung – wie nimmst du das wahr?

Zusätzlich zu den vorgeschlagenen Hilfen kannst du üben wahrzunehmen, welche Signale dein Körper dir gibt: Was bedeutet eigentlich für mich hungrig? Was bedeutet für mich satt? Wo im Körper und auf welche Art nehme ich es wahr?

Und wie wirkt die Konsistenz meines „Essens“ auf meine Sättigung? Trinkmahlzeiten oder Suppe machen meist schneller wieder Hunger als ein Stück Fleisch mit Gemüse, das du gut kauen musst.

5: deine gesundheitliche Situation beeinflusst dein Gewicht

Mit deinem Schlauchmagen und deinem Magenbypass sollte es selbstverständlich sein, regelmäßig deine Blutwerte überprüfen zu lassen, um einen Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen oder eben auch Eiweiß rechtzeitig erkennen und bei Bedarf beheben zu können. Auch eine schlechte Versorgung mit Mirkonährstoffen kann dazu führen, dass du nicht wie gewünscht abnimmst.

Sinnvoll, aber leider nicht im Standardangebot von Arzt- oder Ernährungspraxen ist eine Messung deiner Körperzusammensetzung. Dazu habe ich einen ausführliches Gespräch mit einem Experten geführt, das du hier nachlesen kannst. Diese Messung gibt dir übrigens die zuverlässigste Angabe darüber, ob deine Muskel- und Organmasse groß genug ist und dein Fett- und Wasseranteil in einem guten Rahmen liegt.

Außerdem wichtig: wenn du Begleiterkrankungen hast, sei es ein Diabetes, sei es eine andere chronische Erkrankung wie Rheuma oder wie ein Lipödem oder eine Schilddrüsenunterfunktion, hast du möglicherweise einen anderen Energiebedarf als sich mit einer Formel errechnet. Je weiter du vom „gesunden Modell-Menschen“ entfernt bist, desto weniger treffen Berechnungen zu.

6: Schlaf, Stress, Bewegung, Umwelt

Der Vollständigkeit halber erwähne ich auch noch weitere Faktoren wie Themen Schlaf und Stress – beides wirkt massiv auf die Produktion von (Stress-)Hormonen, die eine gute Abnahme verhindern. Auch weitere Dinge wie Zyklus, Bewegung, Wetterveränderung und Schadstoffe haben einen Einfluss darauf, wie du Nährstoffe aufnimmst und verarbeitetest – und damit letztlich auf dein Gewicht.

 

So nutzt du die Infos, um deine passende Energiemenge zu finden

Jetzt wird´s ganz praktisch: wir bauen zusammen einen „Fahrplan“, mit der du die Kalorienangaben in Apps oder in Formeln trotzdem als Orientierung nutzen kannst, wenn du schon länger operiert bist und dein Gewicht steht oder wieder steigt.

Die Frage ist ja immer: Kann ich mit dieser Zahl als Mensch mit einer Magenverkleidung ganz praktisch etwas anfangen? Meine Antwort: Ja, aber nicht in dem Sinne von „Nimm diese Zahl als festes Soll“, sondern du kannst sie als Hilfsmittel nehmen. Auch die Frage, ob es schädlich ist, ständig unter deinem errechneten Grundumsatz zu essen, kann man tatsächlich auch nicht pauschal für alle beantworten. So kannst du vorgehen:

  • Berechne anhand von Tracking-Apps, Formeln im Internet oder einer BIA-Messung deinen rechnerischen Kalorienbedarf – den Grundumsatz und Zuschläge für Bewegung. Wenn du keine App nutzt, kannst du auf der Webseite der Uni Hohenheim deine Daten eingeben und deinen rechnerischen Bedarf ermitteln.
  • Nutze alle Kriterien, die ich oben besprochen habe und versuch mindestens 4 Wochen lang, ungefähr die Eiweiß- und Kalorienmenge zu erreichen. Gehe maximal 1x/Woche auf die Waage.
  • Beobachte, ob du mit den Mengen und Zusammensetzungen einigermaßen entspannt essen kannst. Dir Essen zwangsweise reinzustopfen oder permanent zu hungern ist natürlich nicht sinnvoll.
  • Passe deine Kalorien schrittweise nach oben oder unten an, wenn sich dein Gewicht in dieser Zeit wesentlich verändert. Teste auch das über mehrere Wochen, bis du deine passende Essensmenge und -zusammensetzung gefunden hast.

Möglichkeit a: Kalorien reduzieren

Für manche hat es sich tatsächlich als hilfreich erwiesen, sich eher an 1300-1400 Kalorien zu orientieren, immer in einer vernünftigen Zusammensetzung: eiweißorientiert, Fette und Kohlenhydrate und Ballaststoffe einigermaßen ausbalanciert. Manche kommen damit wesentlich besser zurecht.

Möglichkeit b: eher mehr essen!

Was ich häufiger erlebe, als man erwarten würde, ist, dass jemand deutlich weniger schafft zu essen, als die App oder die Formel vorschlägt. Wenn du ständig eher ca. 1000-1200 Kalorien zu dir nimmst, obwohl der Vorschlag deutlich höher liegt, ist mein Tipp, eher mehr zu essen. Ich weiß, dass sich Viele das erst einmal nicht trauen – aber habe in meinen Beratungen schon öfter erlebt, dass in diesem Fall mehr Essen zu weniger Gewicht führt.

Auch hier wieder: Das funktioniert selten in Form von Schokolade und Chips, sondern in Form von genug guten Kohlenhydraten, genug Gemüse und Obst und einer kleine Menge guter Fette, (eher pflanzliche Fette und Öle oder Omega-3-Fettsäuren). Wenn du dazu neigst, superwenig Kohlenhydrate zu essen, schau dir auch mal diesem Blogartikel an.

Wenn du Hilfe brauchst, deine Kalorien anzupassen…

Ich hoffe, dass du mit diesem Überblick gutes Handwerkszeug hast, dein Essen gut und gelassen zu gestalten.

Ausgetüftelt habe ich diese Tipps übrigens in Kooperation mit meiner wunderbaren Dranbleiben-Community für Menschen nach Magenverkleinerung. Die Teilnehmerinnen haben sich gegenseitig ermutigt, auch ungewöhnliche Dinge auszuprobieren, sich bei Zweifeln gegenseitig unterstützt und immer wieder meine Erfahrung abgerufen, die ihnen die Sicherheit gegeben hat, dass sie auf einem guten Weg sind. Wenn du mehr über die Community und den nächsten Start wissen willst, findest du hier die Infos.

Wie sind deine Erfahrungen mit den vorgeschlagenen Kalorien in Apps oder bei Messungen? Helfen Sie dir oder wirst du eher unsicher? Hast du mit einer Methode besonders gute Erfahrungen gemacht? Schreib sie gern in die Kommentare!